Auf den Spuren des 360ers

Am 27. 8. 2000 veranstalteten wir eine Wanderung entlang der ehemaligen Trasse der Strecke 60 zwischen Rodaun und Mödling, die in dieser Länge von der Linie 360 und zwischen Mauer und Perchtoldsdorf - Brunner Gasse von der Linie 260 befahren wurde. Sie wurde am 1. 12. 1967 eingestellt, weil sich Wien und Niederösterreich nicht über die Zuschüsse für den natürlich nicht ganz kostendeckenden Betrieb der an sich beliebten Strecke einigen konnten. Für die Wiener Stadtwerke - Verkehrsbetriebe kam dieser politische Schritt überraschend: Nicht nur, dass knapp vier Jahre davor erst die neue Schleife in Rodaun in Betrieb ging - wenige Monate vor der Einstellung wurden noch Gleiserneuerungen durchgeführt.

Damit sind wir schon beim Ausgangspunkt der Wanderung, der Schleife Rodaun, die nicht nur die größte Wiens ist bzw. war, die nicht um Häuserblocks herum führt, sondern als imposantes Mahnmal verfehlter Verkehrspolitik hoffentlich noch lange Zeit in voller Pracht erhalten bleibt. Der heute die Strecke befahrende Bus 259 macht sicher nicht weniger Defizit.

Kaum passiert man die Stadtgrenze, sind die Schienen zu Ende, die noch bis zur Straßenmitte unter dem Asphalt ihr Dasein fristen. Sie scheinen geradewegs in eine Reihe Einfamilienhäuser zu führen, da die Gleise rechts neben der Beethovengasse verliefen. Sie mündet nach 100 m in die Donauwörther Straße, die genau auf der alten 360er-Trasse bzw. im oberen Bereich auf der Trasse der Kaltenleutgebner Bahn erreichtet wurde. An dieser Stelle befanden sich die Eisenbahnkreuzung und das Verladegleis. Es war noch bis 1974 in Betrieb, ebenso wie die Straßenbahngleise bis hierher. Dann wurde die Bahn verlegt - die Kreuzung befindet sich heute 100 m weiter südlich - und die genannte Straße errichtet. Am Alter der Weinstöcke links neben der Fahrbahn kann man noch die alte Strecke erahnen.

Kurz vor der heutigen Eisenbahnkreuzung befand sich die Haltestelle Hochstraße, die durch die kurze Bahngasse zu erreichten ist. Kurz danach zweigt links die Ambros-Rieder-Gasse ab. Folgt man ihr 100 m weit, kommt man zu einem völlig verrosteten Pfeil, der in ein kleines Weglein, das wegen der Verlegung der Bahn heute Sackgasse ist, zeigt: "Zur Straßenbahn". Die Ambros-Rieder-Gasse war dazumals klarerweise statt dessen die Sackgasse und der Weg führte der Kaltenleutgebner Bahn entlang zur Haltestelle. Das ebenso mindestens 35 Jahre alte Radfahr-Verbotsschild hat dem Zahn der Zeit wesentlich besser widerstanden.

Weiter entlang der Donauwörther Straße: Nach kurzer Gehstrecke erreicht man den neuen Kreisverkehr, in dessen Mitte sich ein Springbrunnen befindet, der - wie könnte es anders sein - keinen Zugang für Fußgänger hat. Genau dort befand sich die Wasserleitungsbrücke. Hält man sich schräg links, kommt man zur Rückseite der Spitalskirche. Bis dahin gibt es einige Neubauten, ab da hat sich relativ wenig verändert, außer, dass nichts mehr an die Straßenbahn erinnert, bis auf ein paar Oberleitungshalterungen, die sich immer wieder entlang der Strecke finden. Hier befand sich die Haltestelle Wiener Gasse.

Nun geht es weiter die Donauwörther Straße entlang. Es wurden neue Gehsteige und Parkplätze geschaffen sowie Alleebäume gepflanzt. Ab dem Ende des sanften Linksbogens war die Straße, die damals Promenadenstraße hieß, zu Ende. Das Türmchen, ein beliebtes Fotomotiv, an der Kreuzung mit der Grienauergasse gibt es noch. Kurz danach folgt die Haltestelle Salitergasse. Die erst kurz vor Betriebsende errichtete Insel dient heute dem Bus.

Hier mündet die Donauwörther Straße in die Brunner Gasse, und die Trasse schwenkte rechts ins "Gemüse" ab. Auf ihr und dem ab hier beginnenden ehemaligen Bahnhofsgelände stehen heute ein Supermarkt, verschiedene Gewerbebetriebe und Gärten. In ihnen ist zum Teil noch als kleiner Hügel der Bahndamm zu erkennen. In einem der Gärten, unmittelbar am Zaun des Querwegs, der deutlich den Damm erkennen lässt, liegt ein überwachsener Stapel Schwellen.

Folgt man dem Weg neben den Gärten, kommt man kurz darauf zum ehemaligen Stationsgebäude Brunner Gasse, das heute einen Gendarmerieposten beherbergt. Es wurde "restauriert" und bis auf die Form wundert man sich, dass es das selbe sein soll wie vor 33 Jahren. Aber im Großen und Ganzen hat sich jedoch überhaupt nichts verändert! Neben einem Schienenstück mit Weiche stehen noch die Masten, die Betonständer der Absperrgitter, die damals schon genauso schief und der Querstangen beraubt waren nebst verbogenem, Schild-losem Ständer, wo schon damals nicht mehr "Achtung! Straßenbahn" stand, ist auch die (modernisierte) Telefonzelle noch zu finden. Die Schienen verlaufen unter der Straße noch bis zum neu errichteten Parkplatz. Danach trifft man bis zur Endstelle in Mödling immer wieder auf Masten und Maststummel, auch entland der Straßen in den Orten.

Geradeaus weiter kommt man zur A21. Der Petersbach muss sich nun mit einer unterirdischen Röhre begnügen, und die "Reichsautobahn" wurde doch noch fertig gestellt. Die Brücke ruht nämlich genau auf jenen Widerlagern, die schon der 360er durchquerte. Geradeaus weiter wurde auf der Trasse vermutlich überschüssiges Baumaterial vom Autobahnbau abgelagert - bis 1,5 m hoch. Darunter gibt es noch die Schienen, denn sie treten unvermutet aus der Böschung beim Felsenkeller wieder aus.

Hier gab es immer schon einen "Weg", da sich auf dem Kopfsteinpflaster keine Bäume entwickeln konnten. Nun befindet sich da ein Kinderspielplatz, und die Schienen sind weitgehend wieder frei gelegt. Ansonsten erinnert das Ganze schon mehr an einen Dschungel als an eine Straßenbahnlinie. Unmittelbar beim ehemaligen Gasthaus erkennt man die Fundamente des alten Wartehäuschens, das ja am 26. 3. 1965 in die Liechtensteinstraße verlegt wurde. Das Gleis der Ausweiche daneben wurde heraus gerissen, ohne das Pflaster zu entfernen. Hier entstand ein "Schienenwald" - zwei Baumreihen im Abstand von 1,435 m! Daneben enden die Schienen und es befindet sich dort ein Schild des Mödlinger Stadtverkehrsmuseums.

Die Trasse schwenkte dann auf die linke Seite der Liechtensteinstraße, um mittels Brücke die Wasserwerkstraße zu überqueren. Der Brückenkopf ist noch deutlich zu sehen. Man fragt sich heute, was das soll: Nun, die Dampftramway war schon vor Wasserwerk und den Straßen da. Auf der anderen Seite, beim Wasserwerk, wurde die Rampe offensichtlich eben erst im Zuge von Umbau- und Renovierungsarbeiten abgetragen.

Nach der Brücke schwenkte die Trasse auf die Liechtensteinstraße. Ab hier hat sich wenig verändert - man wundert sich eigentlich nur, dass keine Schienen mehr da sind. Es stehen auch noch etliche Masten bzw. Maststummel. Die Ausweiche der Station Brunn am Gebirge ist noch immer zu erkennen, und im Grunde bleibt der Eindruck des Alten auch in der Engstelle in Maria Enzersdorf nach der Haltestelle Kirchenstraße bestehen. Die Haltestelleninsel Liechtenstein (am Schulplatz) ist noch erhalten, nur dass Autos und öffenlicher Verkehr die Straßenseiten getauscht haben.

Weiter geht es die Helferstorferstraße entlang zum ehemaligen Gaswerk, an dessen Eck einiges modernisiert wurde. Immerhin gibt es hier jetzt eine Gasdruckregelstation und die Fundamente der ehemaligen Gasbehälter sind noch zu erkennen. Danach ist man wieder beim Hergebrachten: Neben den Masten entlang des Zaunes stehen noch die alten Gebäude und die bekannte Mauer. Die Trasse hat soeben links in die Leebgasse geschwenkt und der nächste Schwenk nach rechts folgt unmittelbar nach der damals unfallträchtigen Kreuzung mit der Enzersdorfer Straße. Am rechten Ecke befindet sich das ehemalige Kaffee "360er", das vor Kurzem Namen und Besitzer gewechselt hat, und an dessen Wand noch ein gemaltes Motiv zu fotografieren ist.

Die Trasse ist in der Endgeraden nun ein Fußweg mit Namen Franz-Gschmeidler-Promenade, an deren Anfang man großzügig bis zur Perlgasse die Schienen einfach zugeschüttet und darüber asphaltiert hat. Ab der Perlgasse begann die Ausweiche, was an der Breite der Promenade erkennbar ist, wenngleich die Gärten teilweise schon herein wachsen. Hier befinden sich noch etliche Grenzsteine mit der Aufschrift "G.W. StrB." - neben den üblichen Maststummeln.

Nach Durchqueren des neuen Wohnhauses an der Dr.-Hanns-Schürff-Gasse kann man schon den Endbahnhof sehen. Er ist fast vollständig erhalten, nur einige Nebentrakte wurden abgerissen, dafür wurde ein Wohnheim angebaut. Im ehemaligen Wartebereich unter der "Veranda" steht der k3-Beiwagen 1619, mit der Mödlinger Postleitzahl 2340 falsch beschriftet.

Fazit: Wenn man unbedingt wollte - wäre da nicht die neue Straßenbahnverordnung mit ihrem Eisenbahnkreuzungsverbot - könnte man den 360er wieder errichten; nur an einigen Stellen müsste die Trasse wegen neuer Häuser etwas verschwenkt werden. Der Ausbau wäre problemlos zweigleisig möglich - sogar in der Engstelle in Maria Enzersdorf. Der genieale Vorteil der Straßenbahn war, dass sie die Ortszentren verband, während die Schnellbahn heute an der Peripherie vorbei fährt. Nur, dass die alte Streckenführung trotzdem nicht mehr ganz zeitgemäß wäre.

So müsste die Linie in Mödling einen Anschluss an den Bahnhof haben, und auf der anderen Seite böte die Führung von Liesing S über die Perchtoldsdorfer Straße und Wiener Gasse mit anschließender Mitbenützung der Gleise der Kaltenleutgebner Bahn bis zur Plättenstraße die Möglichkeit, die StrabVO zu umgehen. Da die "Ka-Leu" nicht elektrifiziert ist, würde die Straßenbahnoberleitung nicht stören. Gleichzeitig würde der meist befahrende Abschnitt der Donauwörther Straße autofahrergerecht vermieden.

Aber in Niederösterreich, wo eben gegen den Semmering-Bahn-, aber für den -Autotunnel, entschieden wurde, sind solche Spekulationen reine Tagträume.

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