Reisebericht: Brüssel

Ende März 1999 hatte ich erneut die Gelegenheit, einen Straßenbahnbetrieb unter die Lupe zu nehmen. Es "verschlug" mich per Flugzeug in die EU-Hauptstadt Brüssel.

Gleich am Flughafen war ich von der ab dem halben Weg gut ausgeschilderten Flughafenschnellbahn (dort als Intercity bezeichnet) überrascht, die alle 15 Minuten bis ins Zentrum fährt und durch entsprechende Zuglänge im Gegensatz zu gewissen anderswo alle 30 Minuten verkehrenden 4030-Einfachgarnituren keine Platzprobleme entstehen lässt...

Von der "Centraal Station/Gare Centrale" (alles ist zweisprachig angeschrieben) ging es dann mit der U-Bahn weiter zur Unterkunft. Das Tarifsystem der Brüsseler Verkehrsbetriebe ist denkbar einfach: Es gibt Einzelfahrscheine, Fünf-Fahrten-Karten, Zehn-Fahrten-Karten und Tageskarten. Letztere kosten BEF 130,- (ca. EUR 3,22), was angesichts des ausgedehnten Liniennetzes der Stadt (1 Mio Einwohner) relativ günstig ist. Normalerweise kann man die Fahrkarten bei der Stationsaufsicht erwerben. Sollte diese nicht besetzt sein, kann man auf Automaten ausweichen, die eine viersprachige Benutzerführung aufweisen, allerdings nur Münzen akzeptieren.

Auf den U-Bahnsteigen sind neben den Zugzielanzeigen Linienläufe angebracht, die mit roten Leuchtdioden die Position eines jeden Zuges auf der Strecke anzeigen. So kann man leicht erkennen, wann der nächste Zug kommt bzw. ob es sich bei großem Andrang auszahlt, auf den Folgezug zu warten. In den Spitzenzeiten verkehrt die U-Bahn alle 3 Minuten, außerhalb alle 5 Minuten. Auf den Außenästen der U-Bahn-Linien 1A und 1B (insgesamt gibt es die Linien 1A, 1B und 2), die die Innenstadt gemeinsam durchqueren, verkehren die Züge nur halb so oft. Detail: Bei der Gabelung von 1A und 1B in der Station Beekkant werden die Züge der Linie 1A gestürzt. Um eine Kreuzung zu vermeiden, wird dieser Außenast der Linie 1A einfach im Linksverkehr geführt, wovon auch die Rolltreppen nicht ausgenommen sind.

Der Bodenbelag auf den Bahnsteigen ist wie im Wageninneren aus rutschfestem Gummi. Insgesamt macht die U-Bahn jedoch einen leicht schmuddeligen Eindruck, was aber offenbar Vandalen von ihrem Tun abzuhalten scheint. Mein Eindruck war: Je sauberer, um so mehr kaputt. Zur Versorgung der Fahrgäste befinden sich in vielen Stationen Automaten für Esswaren und/oder Getränke. Leider waren alle, die ich zu Gesicht bekam, außer Betrieb, weil aufgebrochen.

Die U-Bahn in Brüssel entstand ursprünglich aus einem UStrab-Netz ("Premetro"). Der Zeitpunkt der Umstellung orientiert sich dabei an der Tunnellänge. Die Umstellung selbst geht rasch vor sich, da die UStrab-Strecken bereits bis auf den Ausschnitt einer Straßenbahnwagenlänge am Bahnsteig und die Signalanlage U-Bahn-tauglich sind.

Zwei UStrab-Strecken sind (noch) vorhanden: eine elf Haltestellen lange (Noordstation/Gare du Nord - De Brouckere [Zentrum] - Zuidstation/Gare du Midi - Albert; später einmal U-Bahn-Linie 3) und eine vier Haltestellen kurze (Diamant - Montgomery [U-Bahn-Anschluss] - Boileau; später Linie 5). Der Rest des großen Straßenbahnnetzes verläuft oberirdisch, ausgenommen natürlich Unterführungen usw.

Zum Einsatz kommen sechs- und achtachsige PCC-Wagen sowie achtachsige Niederflurwagen. Die Nf-Wagen werden nur oberirdisch eingesetzt, da die Tunnelstrecken offenbar nicht niederflurtauglich sind. Es gibt keine Beiwagen; alle Triebwagen sind als Zweirichtungsfahrzeuge ausgeführt. An den Endstationen enden die Gleise grundsätzlich stumpf; zahlreiche Gleiswechsel ermöglichen bei Störungen eine flexible Betriebsabwicklung. Die Steuerung der Niederflurwagen erfolgt über einen Fahrhebel mit der linken Hand. Bei den PCC-Wagen ist eine Fußsteuerung eingebaut. Die Bedeutung aller übrigen Knöpfe und Hebel ist durch die Beschriftung mit Piktogrammen eindeutig ersichtlich. Lediglich die Brosebandgeräte, die von der Firma Carl Brose aus Wuppertal stammen, haben wirkliche Aufschriften - aber die sind dafür deutsch!

Die Beschleunigung aller Wagen ist ziemlich stark. Das hat bei den PCC-Wagen allerdings zur Folge, dass man sich lieber fest anhalten sollte, da die Fußsteuerung manchmal etwas ruppig reagiert. Auch die Ampelanlagen sind durchwegs auf die Straßenbahn abgestimmt. Das bedeutet (im Gegensatz zu Wien), dass die Straßenbahn zügig durchfahren kann und nicht erst vor der roten Ampel warten muss, bis sie die Phase bekommt, für die sie sich angemeldet hat. Nachteilige Auswirkungen auf die Fahrzeit hat allerdings der Fahrscheinverkauf durch den Fahrer, der bisweilen auch ein Sicherheitsrisiko darstellt, und zwar immer dann, wenn der Fahrer den Zug mit 20 oder 25 km/h dahinrollen lässt und dabei Fahrscheine verkauft - ohne auch nur den geringsten Blick auf die Strecke zu werfen!

Wenn bei einer Haltestelle niemand ein- oder aussteigen will, wird grundsätzlich durchgefahren. Der Haltewunsch wird mit den üblichen "STOP"-Tasten bekannt gegeben. In einigen Fahrzeugen befinden sich allerdings noch runde, schwarze Knöpfe, über denen farblich kaum unterscheidbare, weil auf Grund des Alters nachgedunkelte, (braune) Notsignalknöpfe angebracht sind. Das führt ab und zu zu einer Verwechslung... Die Niederflurwagen haben Sensortasten an den Türen , wie man sie von U6 und ÖBB kennt.

Interessant ist das Türöffnen von außen an den PCC-Wagen: Zwischen den beiden Ein-/Ausstiegen einer Tür befindet sich eine Fühlerkante. Auf diese muss man drücken, damit sich die Tür öffnet. Die Drehschwingtüren sind leider etwas eng, sodass Personen mit breiteren Kinderwagen Probleme beim Einsteigen haben. Auch für beleibtere Passagiere ist das Ein- und Aussteigen wahrscheinlich keine angenehme Sache.

Dieses Problem gibt es bei den Niederflurwagen (Außenschwingtüren) nicht; dafür macht sich hier ein anderer Nachteil bemerkbar. Bei den Linien, die mit solchen Wagen ausgestattet sind, haben nicht alle Haltestellen ein Kap. Da es sich aber um "normale" Nf-Wagen handelt, die einen höheren Wagenboden haben als die Wiener ULFe (aber dafür auch funktionieren... ;-), ist bei derartigen Situationen das Hinaufklettern durchaus mit dem Einsteigen in einen Oldtimer vergleichbar - mit dem Unterschied, dass die Niederflurwagen keine Möglichkeit zum Anhalten (Außengriffstangen) bieten. Alte Leute sind hier durchwegs auf fremde Hilfe angewiesen, Rollstuhlfahrer haben wohl keine Chance, bei so einer Haltestelle ein- oder auszusteigen.