Reisebericht: Ostdeutschland und Nürnberg

Eine Kurzreise im Juni 2012 führte in einige Kleinstädte in Ostdeutschland - selbstverständlich alle mit Straßenbahnbetrieb. Den Anfang machte Plauen, wo wir Glück hatten, die nicht alltägliche Betriebsform von Heck an Heck gekuppelten Fahrzeugen zu erleben, da eine Strecke wegen Bauarbeiten unterbrochen war und vor der Baustelle stumpf gewendet wurde.

Die Baustellenlinie trug die Bezeichnung E7. Bemerkenswerterweise wurde sogar nach Möglichkeit darauf geachtet, Wagen mit gleicher Totalwerbung bzw. gleicher Grundfarbe zusammenzuhängen, wie hier 233+205 bei der Morgenbergstraße. Im Hintergrund sind die Baustelle und das Fahrverbotsschild am Querdraht ersichtlich.

Wagen 237 fährt als Linie 1 durch die Bahnhofstraße Richtung Oberer Bahnhof. Für Wiener Verhältnisse nahezu undenkbar, anderswo ganz normal: Die Straßenbahn fährt durch eine Fußgängerzone.

Weiter draußen geht es auf eigenem Bahnkörper in Mittellage flott dahin. 220+208 sind als Baustellenlinie E7 unterwegs in die Südvorstadt.

Die nächste Station war Nordhausen - ein kleiner Betrieb mit nur drei Straßenbahnlinien und zwölf Personenfahrzeugen, aber einer Besonderheit:

Am Bild von Wagen 202 in der Endstation Ilfeld Neanderklinik merken Sie es bereits: Die Fahrleitung fehlt! Des Rätsels Lösung: Die Linie 10 fährt vom Nordhäuser Zentrum weiter über die Gleise der Harzer Schmalspurbahn. Zu diesem Zweck verfügt Nordhausen über drei Exemplare des Zweisystemtyps Combino Duo.

Hinter einem unscheinbaren Kobel im Wageninneren verbirgt sich der Dieselgenerator.

Im Stadtgebiet - hier die andere Endstation der Linie 10, Krankenhaus - wird ganz normal im Oberleitungsbetrieb gefahren.

Nach der Wende wurden aus Stuttgart und Freiburg einige Gelenkwagen des Typs GT4 übernommen, die jedoch seit Anfang 2012 nicht mehr benötigt werden und nun auf einem Abstellgleis an der Linie 2 vor sich hin rosten.

Die Linie 2 verläuft überwiegend eingleisig mit Ausweichen und bietet so manche schöne Fotostelle wie hier mit Wagen 109. Im Pflaster ist noch die frühere Streckenführung erkennbar.

Weiter ging es nach Halle an der Saale, wo sich noch Tatra-Großzüge ablichten lassen.

Hier wartet ein solches Exemplar (stets in der Zugzusammenstellung T4D-C+T4D-C+B4D-C) mit den Nummern 1208+1214+204 in der Schleife Beesen auf die Weiterfahrt. Die Züge wechseln hier von Linie 1 auf Linie 2 und umgekehrt.

Die Linie 5 führt bis ins benachbarte Merseburg, wo dieses Foto entstand. Wagen 617 ist ein MGT6D von DÜWAG/Siemens. Die orangefarbenen LED-Zielanzeigen haben das bekannte Problem, auf Fotos meist unleserlich zu sein, da die Information getaktet wiedergegeben wird - der Kameraverschluss ist schneller als das menschliche Auge.

Die neuesten Fahrzeuge in Halle sind übrigens Flexity Classic von Bombardier (Baujahre 2004-2005), die auch in Doppeltraktion eingesetzt werden wie hier auf Linie 5.

Am Marktplatz von Halle treffen wir auf einen der beiden MGT6D-Prototypen mit der Nummer 500...

.. und natürlich auch wieder auf einen Tatra-Großzug, diesmal mit dem führenden Triebwagen 1160.

Manchmal wird man unversehens an die jüngere Vergangenheit erinnert, wenn so wie hier die Straßenbahn an riesigen verfallenen DDR-Bauten vorbeizieht (Schkopau, ehemalige Buna-Werke).

In Jena fand ein Tag der offenen Tür statt. Ganz ähnlich wie beim Wiener Tramwaytag fand das Fest am Betriebshof Burgau statt. Neben Ausstellungen, Führungen und Verpflegung gab es auch Rundfahrten mit Oldtimergarnituren.

Eine der Rundfahrtengarnituren war ein Gotha-Fahrschulzug. Ähnlich wie beim Wiener GS1 fehlt auch hier der Zielschildkasten, um dem links hinter dem Fahrer erhöht sitzenden Instruktor eine bessere Sicht auf die Straße zu ermöglichen. Für die Rundfahrten fertige man aus Magnethaftfolie "Brustwandtafeln" an.

In der Halle wurden auch Arbeitsfahrzeuge ausgestellt, darunter Arbeitstriebwagen 105 mit Vorschiebepflug.

Durch einen romantischen Torbogen, den Museumswagen 26 gerade durchfährt, wird der von Gebäuden umschlossene Ernst-Abbe-Platz erreicht.

Der aktuelle Betrieb wird mit 33 GT6M-ZR bestritten, die von AEG, Adtranz und Bombardier gebaut wurden, hier Wagen 602 in der Schleife Zwätzen.

Von Jena begaben wir uns nach Naumburg, das Ihnen sicher ein Begriff ist. Falls nicht, die Fakten in aller Kürze: Der heruntergewirtschaftete Betrieb wurde nach der Wende stillgelegt und auf Initiative von Privatleuten und Straßenbahnfreunden wieder aufgebaut - zunächst als Touristenattraktion, seit 2007 im täglichen Betrieb, der auch von Normalfahrgästen gern genutzt wird. Seit 2010 ist die Naumburger Straßenbahn "echter" öffentlicher Personennahverkehr - und das ausschließlich mit Altfahrzeugen aus DDR-Bestand.

An unserem Besuchstag bestand der Auslauf aus Gotha-Tw 38, hier an der derzeitigen Endstation Vogelwiese.

Fahrerplatz eines Gotha-Triebwagens. Neben der Fahrschalterbedienung mittels Schaltkurbel gab es übrigens auch Serien, deren Fahrschalter durch ein mittig angebrachtes Schaltrad bedient wurde (etwa beim zuvor abgebildeten Jenaer Fahrschulzug).

Die andere Endstation befindet sich beim Hauptbahnhof. Die Fahrzeit beträgt je Richtung lediglich 10 Minuten, sodass im angebotenen Halbstundentakt mit einem Wagen das Auslangen gefunden wird.

In früheren Zeiten führte die Straßenbahn direkt durch die Naumburger Altstadt.

Der Lowa-Tw 29 wurde für eine gemietete Sonderfahrt eingesetzt, so gelang dieser Zufallsschnappschuss.

Die nächste Stadt auf unserer Liste war Gera, wo uns gleich - Glück gehört auch dazu - Museumswagen 12 am zentralen Umsteigeknoten Heinrichstraße vor die Linse fuhr.

Gera hat drei Linien, der Fuhrpark besteht aus herkömmlichen KT4D, von denen einige durch Einfügen eines Niederflurmittelteils zu KTNF8 erweitert wurden. Daneben gilt es noch Niederflurzüge des Typs NGT8G von Alstom.

Auf Linie 3 biegt NGT8G 211 in die Heinrichstraße ein.

In Tatra-Doppeltraktionen fahren die KTNF8 ausschließlich als führender Triebwagen wie hier bei 351+314, die eben die Endstation Bieblach Ost erreicht haben. Apropos Ost: Am rechten Bildrand sehen Sie eine der typischen DDR-Leuchten, am linken Bildrand, wenn man so will, das westliche Pendant. Nun mag man darüber streiten, was schöner ist.

Bei der Haltestelle Pforten begegnet uns Tw 205 als Linie 1 Richtung Untermhaus. Es handelt sich hierbei um eine 2006 eröffnete Neubaustrecke, die stadtbahnmäßig nach modernen Gesichtspunkten angelegt ist.

Bei der Rückreise konnten wir noch Nürnberg "mitnehmen", wo wir auch das dortige Straßenbahnmuseum besuchten.

Dieses Museum bietet nicht nur eine Fahrzeugausstellung, sondern auch etliche Hintergrundinformationen, Schautafeln, interaktive Objekte und ein Café - Wien hat zwar das größte Straßenbahnmuseum, aber leider auch das verstaubteste.

Technische Hintergrundinformation zum Straßenbahnmotor, ...

... einen aktuellen Weichenantrieb, ...

... Erklärungen zum Gleisbau ...

... und zudem darf man etliche Fahrzeuge auch betreten. Das ist wahrlich ein lebendiges Museum, für das man gern EUR 5,50 Eintritt bezahlt - in diesem Preis ist allerdings eine Stadtrundfahrt mit der historischen Linie 15 inbegriffen! (Der normale Eintritt ohne Rundfahrt kostet 3,-.)

Nürnberg hat nur mehr fünf Straßenbahnlinien, da hier ähnlich wie in Wien der U-Bahn-Wahn grassiert. Einer der wichtigsten Umsteigepunkte ist die viergleisige Anlage am Plärrer, wo Wagen 1118 seine Stehzeit als Linie 6 Richtung Doku-Zentrum hält. Der Wagenpark ist vollkommen niederflurig und besteht aus den Typen GT6N und GT8N (Adtranz, Siemens) sowie Variobahnen, die allerdings mit Zulassungsschwierigkeiten zu kämpfen haben und an unserem Besuchstag leider nicht im Einsatz waren.

Eine Besonderheit Nürnbergs sind die fahrerlosen U-Bahn-Züge, die auf den Linien U2 und U3 eingesetzt werden, hier 708+707 am Hauptbahnhof als U3. Hier kann man die Fahrerperspektive auch als Fahrgast genießen, allerdings beträgt die Sichtweite im Tunnel nahezu Null, da die Spitzenlichter nicht als richtige Scheinwerfer ausgebildet sind.